Presseecho zu SCHAU LANGE IN DEN DUNKLEN HIMMEL


am 12.6.2012 in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung erschienen

Geister und Gescheiterte

In Herrenhausen gaben die Musibanda Franui und der Filmkomponist Paul Dessau den Ton an

Die Mitglieder der Musicbanda Franui sind auch Ankläger und Richter – und finden doch im „Dunklen Himmel“ tönenden Trost. © Mahramzadeh

 Von Rainer Wagner

Man muss Spielzeitthemen und Festivalmottos nicht zu ernst nehmen. Schließlich lernt jeder angehende Dramaturg beizeiten, dass im Zwischenmenschlichen und in der Kunst das Unverbindliche ein sehr verbindendes Band sein kann. Und dass man im Zweifelsfalle nur differenziert genug argumentieren muss, damit alles wieder passt. Oder zumindest teilweise.

Ob also der wunderbare Filmmusiknachmittag „Dessau im Wunderland“ zwingend etwas mit dem „Fragilen Gleichgewicht“ zu tun hat, das die diesjährigen Kunstfestspiele Herrenhausen beschwören, ist nicht so wichtig, solange dieses Programm nur verzaubert. Die versponnenen Puppentrickfilme von Ladislas Starevitch und die anarchisch-fröhlichen frühen Disney-Cartoons zeigen immerhin, wie vielseitig Paul Dessau als Filmkomponist war und dass ein Richard-Strauss-Zitat auch zu Walt Disney passt, wenn es so kompetent gebracht wird wie vom Collegium Novum Zürich unter David Philip Hefti.

Für Fragileres ist dann anschließend die Musicbanda Franui zuständig, die gleich zwei Künstler ins Zentrum stellt, die sich zeitlebens und letztlich glücklos um eben dieses Gleichgewicht bemühten – und an diesem Konflikt zerbrachen: Robert Schumann und Robert Walser.

„Schau lange in den dunklen Himmel“ heißt diese knapp anderthalbstündige Produktion, die prompt mit einer Verdunkelung des Galeriegebäudes endet.

Zuvor aber suggerieren weiße Stoffbahnen über langen Sitzreihen so etwas wie eine alpine Schneelandschaft. Bühnenbildner Ralf Käselau greift den Grundriss der letztjährigen „Semele Walk“-Produktion auf, nur dass jetzt die eine Sitzreihengruppe entlang der langen Wand die Spielfläche ist, während gegenüber die Zuschauer um den letzten Platz kämpfen.

Wenn dann der Mehrzweckmusiker Markus Kraler das Tuch von jenem kleinen Spielzeugklavier lupft, das trocken getupfte Töne absondert, dann stieben Schneeflocken auf. Robert Walser, der lebensuntüchtige Dichter, ist schließlich auf einem Spaziergang im Schnee (wenn auch wohl an einem Herzinfarkt) verstorben.

Robert Schumann liefert zu diesen „Geistervariationen für Schauspieler, Sänger und Musicbanda“ nicht nur das titelgebende Musikstück als Steinbruch für die Franui-Kompositionen, sondern auf dem Umweg über seine Liedervertonungen auch noch den dritten Stichwortgeber des Programms: Heinrich Heine. Dessen „Es ist eine alte Geschichte, doch bleibt sie immer neu …“ ist das Leid- und Leitmotiv für Daniel Christensen, der mit vielen Textfragmenten die Geschichte einer Obsession, eines Liebesbesessenen erzählt: ein Angeklagter, ein Selbstankläger, ein Ausgestoßener.

Konterkariert und kontrapunktiert wird er von Otto Katzameier, der nicht nur Schumanns „Dichterliebe“ beschwört, sondern auch zum Inquisitor wird. Regisseurin Corinna von Rad verteilt die Textpartikel, die von Kafkas „Schloss“, vor allem aber von Robert Walsers Textminiaturen stammen, geschickt im Raum. Sie kann sich schließlich darauf verlassen, dass die munter aufspielende und fröhlich agierende Musicbanda aus Osttitrol das alles musikalisch zusammenhält.

Andreas Schett, der das von der Trompete aus auch anleitet, und sein Kokomponist Markus Kraler haben eine ebenso kunstvolle wie kurzweilige Collage geschaffen. Natürlich darf die obligate Marcia funebre nicht fehlen, schließlich bezeichnen sich die Musiker als „Trauermarschspezialisten“. Und der Marsch wird beim Wort genommen, als wären sie in New Orleans. Wie diese Partitur über die Genregrenzen hinweg spielt, wie sie Mahlers „Blumine“ nachklingen und den Tango in den Walzer gleiten lässt, das ist hinreißend.

Das Hackbrett hackt, die Harfe zirpt, die Geige fiedelt – und immer wirbelt ein frischer Blechbläserwind durch alte Partituren. Robert Schumanns „Geistervariationen“, sein letztes Werk, sind jüngst wieder verstärkt ins Gedächtnis gerufen worden. Einerseits durch die Diskussionen im vergangenen Schumann-Jahr über das Ende des Komponisten. Andererseits durch Tori Amos, die daraus auf ihrer aktuellen CD ihr „Your Ghost“ machte. Franui demonstrierte jetzt, dass noch viel mehr geht und man sogar „Der Mond ist aufgegangen“ von dieser Melodie illuminieren lassen kann.

Am Ende dieser verschlungenen Biografienhelix, in der zwei Lebenswege gebunden werden, steht „Wanderers Nachtlied“. Nicht nur über allen Wipfeln, sondern auch im Galeriegebäude ist bald Ruh’, die Musiker inszenieren eine kleine Abschiedssinfonie – und der Letzte macht das Licht aus.

Und dann Jubel für diese Uraufführung. Der Weg zur nächsten Franui-Uraufführung führt von Herrenhausen nach Salzburg zu den dortigen SommerFestspielen. Soviel zum Gleichgewicht.


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